Präventiver und Reaktiver Umgang mit Unterrichtsstörungen

Ein Artikel von Ludwig Graf Westarp

In den Jahren, die ich nun als Lehrer und Dozent an zwei Berufsschulen, einer Universität, einer Hochschule sowie einer beruflichen Weiterbildungsakademie tätig war, hatte ich zum Glück nie – abgesehen von einem kurzen, etwa zweiwöchigen Zeitraum, mit gravierenden Unterrichtsstörungen zu tun. Im Grunde gab es nur einen einzigen Fall. Es handelte sich dabei um einen Schüler, der nicht nur mit mir, sondern auch mit anderen Kolleginnen und Kollegen, immer wieder versuchte, eine Art Machtkampf auszufechten.

Es gelang mir aber, diese Situation zu entschärfen und den Schüler am Ende für mich zu gewinnen, so dass er mich in anderen Situationen in der Schule später sogar unterstützte. Leider wurde dem Schüler, der seinen Leistungen nach zu den Klassenbesten gehörte, von seinem Betrieb, zu dem er nur kurze Zeit zuvor gewechselt war, mittlerweile gekündigt.

Die zwei Wochen, in denen dieser „Machtkampf“ in meinem Unterricht stattfand, empfand ich alles andere als einfach. Ich merkte erstmals, wie schwierig es für einen Lehrer sein kann, in einem, ihm teilweise „feindlich“ gegenüberstehenden Umfeld mit derselben positiven und motivierenden Energie zu unterrichten, wie ich dies von mir – besonders in meiner Rolle als Klassenlehrer – erwartete. Wie aber gelang es mir, diese positive Wende herbeizuführen?

In der Situation der größten Zuspitzung schien mir der Konflikt manchmal in den Gedanken nur so lösbar, dass ich den Schüler bei dem nächsten (gegen mich gerichteten) Angriff „sofort aus dem Unterricht herausnehmen und für den Tag in seinen Betrieb schicken“ würde. Doch bei Betrachtung der Lage mit kühlem Kopf half mir eine Einsicht, die ich im Laufe der Jahre mit menschlichen Bedürfnissen im privaten wie im beruflichen Leben sowie aus Literatur, Philosophie und Psychologie gewonnen habe. Diese Einsicht deckt sich stark mit dem Prozess „Gewaltfreie Kommunikation (GFK)“, der von Dr. Marshall B. Rosenberg entwickelt wurde. GFK versteht sich nämlich nicht als Technik, die andere Menschen zu einem bestimmten Handeln bewegen soll, sondern als Grundhaltung, bei der eine wertschätzende Beziehung im Vordergrund steht. Dem Modell liegt eine Haltung zugrunde, die besagt, dass Menschen grundsätzlich miteinander im Austausch sein möchten.

Dieses Bedürfnis nach Austausch und Anerkennung spürte ich auch bei dem Schüler. Ich war mir sehr sicher, dass ich ihm niemals in irgendeiner Weise einen Grund gegeben hatte, etwas gegen mich zu haben. Was also steckte hinter seinem Verhalten, mit dem er – wie in einer Hackordnung – immer wieder seinen Platz, den, die Nummer Eins zu sein, suchte und nicht bereit war, sich in irgendeiner Form ein- oder unterzuordnen bzw. einen respektvollen Umgang zu pflegen?

Er wollte seine Grenzen testen und sah sich offenbar als Anführer der Klasse, was ihn wahrscheinlich auch in seinem Betrieb am Ende den Ausbildungsplatz kostete.

Ich ging nun – wie die GFK – davon aus, „dass Menschen mit jeder Handlung versuchen, sich Bedürfnisse zu erfüllen, um das Leben wirklich leben zu können in seiner ganzen Fülle und Herausforderung“. Die GFK ist ein Prozess, der bewusst machen soll, dass wir in jedem Moment eine Wahlmöglichkeit haben: nämlich uns und unseren Mitmenschen das Leben entweder zu erschweren oder zu bereichern.

Es gelang mir, in dem Konflikt nach Außen stets ruhig und objektiv zu bleiben und die Situation nicht persönlich zu nehmen. Zusätzlich half mir der offene Austausch mit meinen Kolleginnen und Kollegen. Ich zeigte dem Schüler gegenüber erfolgreich Stärke, ohne zu sanktionieren, denn Bestrafungen tendieren eher dazu, eine Unterdrückung des unerwünschten Verhaltens zu bewirken, verhelfen den Betroffenen aber nur sehr selten zur Einsicht. Sanktionen können nur dann sinnvoll sein, wenn die Situation bereits so verfahren ist, dass erst einmal die Grundlage für ein angenehmeres Arbeitsklima geschaffen werden muss, von dem ausgehend weitere Hebel angesetzt werden können.

Eine sehr wichtige Maxime, die ich vor allem aus meiner Tätigkeit als Manager verschiedener Unternehmen in Südostasien gewinnen konnte, ist es stets ruhig zu bleiben. In der Klasse schreie ich niemals. Sind die Schülerinnen und Schüler zu laut, tendieren viele Lehrkräfte dazu, lauthals zu versuchen, für Ruhe zu sorgen. Dies werten Schülerinnen und Schüler dann oftmals schnell als wunden Punkt und nutzen dies aus, weil sie merken, dass die Situation der Lehrkraft emotional nahe geht.

Wichtig beim präventiven und reaktiven Umgang mit Unterrichtsstörungen ist auch das Reflektieren über die zurückliegenden Stunden. Was könnte die Ursache für die Unterrichtsstörungen sein? Denn nur mit einer guten Analyse können geeignete Mittel gefunden werden, den Störungen entgegenzuwirken. Es ist erforderlich, den „Teufelskeis der Kommunikation“ zu verlassen. Typischerweise gibt es nämlich in der Kommunikation keinen Anfang und kein Ende. Beide Personen empfinden sich als  nur Reagierende auf das Verhalten des anderen, so z.B. im klassischen Beispiel von Paul Watzlawicks Ehepaar, bei dem sich die Frau darüber beklagt, dass der Mann so häufig abends weggeht. Der Mann aber geht so häufig abends weg, weil er die ständigen Beschwerden seiner Frau nicht mehr hören will. Eine solche Dynamik bewirkt, dass der Konflikt immer mehr eskaliert. Das Wissen um solche Dynamiken bietet nun die Chance, diesen Kreislauf zu verlassen.

Auch war es sicher gut, dass meine, diesem Schüler gegenüber zeitweise negativen Gefühle, mich nicht davon abhielten, ihn für seine guten Unterrichtsbeiträge und Leistungen zu loben und ihm zu zeigen, dass ich sein Potential erkenne und wertschätze.

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